Jugend

 

 

Heute ist die Zeit, von der wir morgen sagen werden: „Früher war alles besser“

 

 

Die Schüler besuchten zwischen den Jahren 1920 bis 1950 für gewöhnlich die Schule bis zum achten Schuljahr und gingen dann mit dem 14. Lebensjahr ab. Die Freizeit der Jugendlichen war durch die Mithilfe im elterlichen Betrieb sehr stark begrenzt. Zum Spielen oder Treffen boten sich nur der Nachmittag oder Abend an, sowie die Aktivität im Gesang- oder Turnverein. Ansonsten traf man sich regelmäßig abends an einer der Milchbänke und tauschte sich aus.

Im Winter ergab sich eher Gelegenheit etwas zu unternehmen. Dann ruhte ein Großteil der landwirtschaftlichen Arbeiten. In Bärstadt gab es eine imaginäre Grenze. Die Kinder und Jugendlichen des Unterdorfs und des Oberdorfs spielten jeweils mit den Nachbarkindern. Dies hatte keinen besonderen Grund, man beschäftigte sich eben am liebsten mit den Jugendlichen aus dem nächsten Umfeld. Dieser Umstand wird heute lediglich noch den älteren Bärstadtern bekannt sein.

Man freute sich z.B. wenn im Winter Schnee lag und man ausgiebig mit den anderen Schlitten fahren konnte. Beliebt oder geradezu in Mode gekommen war das Fahren mit Schlitten und einer kräftigen Haselnussstange zum Lenken. Man fuhr bis es dunkel wurde, da man wusste, zuhause wartet immer Arbeit. So genoss man die Zeit, die man mit den anderen Kindern und Jugendlichen im Ort verbringen konnte. Beliebt war auch das Treffen beim „Schmidt-Josef“ in der Hauptstraße. Hier konnte man sich am Schmiedefeuer etwas wärmen und austauschen. Der „Schmidt-Josef“ konnte auch den ein oder anderen Helfer gut gebrauchen.

 

 

 

 

 

Jugendliche im Gasthaus zur Sonne

 

Ausfahrt mit dem Winterschlitten

 

 

Der Ortsdiener Heinrich Diehm rief immer die neusten Bekanntmachungen mit einer Schelle aus. Im Winter konnte das bedeuten, dass die Straße mit einem Pferdeschneepflug geräumt werden musste. Hierbei hatten die Jugendlichen zu helfen. Schneewehen waren wegzuschippen und damit der Schneepflug nicht über die Schneeschicht rutscht, mussten einige Jugendliche darauf Platz nehmen.

Oft gab es auch im privaten Kreis Spielabende oder die Jungen trafen sich zum Kartenspiel in einem der Gasthäuser.

Seit dem 1. Dezember 1936 war die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend Pflicht. Das hieß, dass ab dieser Zeit die Mitgliedschaft für alle 10- bis 18- jährigen obligatorisch war; alle wurden in der Hitler-Jugend erfasst. Auch in Bärstadt gab es einen BDM (Bund deutscher Mädel) und die HJ (Hitler Jugend), außerdem die JM (Jungmädel) das DJ (Deutsches Jungvolk).

 

 

 

 

Gruppenbild BDM

 

HJ Leistungswettkampf in Hausen vor der Höhe

 

 

Eine Sache, die ganz in der Hand der Jugendlichen lag, war die Kerb. Die Kerbegesellschaft war ein loser Verbund derjenigen, die über 18 und noch nicht verheiratet waren. Man besuchte die Kerb in den Nachbarorten oder war an der Ausrichtung der eigenen beteiligt. Hier konnte dann nach Herzenslust getanzt und gefeiert werden. Hierauf freute man sich das ganze Jahr, war es doch eines der wenigen richtig großen Ereignisse. Der gute Anzug wurde ausgepackt, die Musik kam und der ganze Ort war mit Fähnchen geschmückt. Mit bunten Bändern geschmückte Birkenreiser standen an den Hausecken und der Besuch von Verwandten aus den Nachbarorten war auch eingeplant. Um den Festsaal oder den Kranz für den Kerbebaum zu schmücken, wurden bereits im Vorfeld gemeinschaftlich Girlanden angefertigt. Der Festsaal wechselte von Jahr zu Jahr, je nach dem, welcher Wirt den meisten Wein für die Kerbegesellschaft bot. Der Kerbebaum wurde samstags im Wald gefällt, mit dem Langholzwagen in den Ort gefahren und dann vor der Gastwirtschaft aufgestellt. Im Vorjahr war eine Flasche Wein im Erdloch vergraben worden, was das Interesse am Aushub des Loches etwas vergrößern sollte. Nach dem Baumstellen mit den Glockenseilen begann die Kerb um 18 Uhr im Saal mit Tanz. Die Musiker wurden nicht von der Kerbegesellschaft bezahlt, sondern von denjenigen, die tanzten. Hierzu musste man bei der Musik ein Bändchen kaufen, welches zum Tanz berechtigte. Die unter 18-jährigen durften bis 22 Uhr bleiben. Der Gendarm „Dick- Schmidt“ aus Schlangenbad kontrollierte die Einhaltung des Jugendschutzes. Am Samstag kam es immer wieder zu Schlägereien mit Besuchern/ Burschen aus Hausen oder anderen Orten. Diese hatten möglicherweise ein Auge auf eine Bärstadterin geworfen, was immer ungern gesehen wurde. Man war aber auch einem kleinen Schlagabtausch nicht unbedingt abgeneigt. Zur Kerb gab es nur Wein, kein Bier. Als sich eines Tages die Musiker bei Frau „Klauer“ für das Freigetränk vor dem Publikum bedankten, war der Lacher des Abends gezündet. Die sogenannte Frau Klauer hieß nämlich Elli Schneider. Die Familie Schneider wurde im ganzen Ort nur umgangssprachlich „Klauersch“ genannt (z.B. Klauersch-Willi).  Am Sonntagmorgen ging erst die Kerbegesellschaft in die Kirche und dann weiter zu dem Frühschoppen mit Blasmusik. Danach war um 14:00 Uhr der Kerbeumzug mit anschließendem Verlesen des Kerbespruchs vor dem jeweiligen Gasthaus. Hiernach ging es zum Kaffee und Kuchenessen. Der Kerbeumzug war noch ein einfacher Rundgang zu Fuß oder mal mit einem einzelnen Rad, alternativ mit einem Pferd. Gefeiert und getanzt wurde bis in die Nacht. Unterbrochen wurde dies nur von dem Füttern und Misten der Tiere um ca. 18 Uhr. Montagabend war dann der letzte Tag an dem gefeiert wurde. Morgens wurden bereits Eier gesammelt, welche dann nachmittags gemeinsam verspeist wurden. Abends gab es letztmalig die Möglichkeit zum Feiern. Bei einer Verlosung konnte man von Stöckelschuhen bis zum Fahrrad einiges gewinnen, was großes Interesse fand. Auch wurde der Kerbebaum und die Kerbefahne versteigert. Als Kerbefahne wurde stets eine neue Tischdecke verwendet.

Zwei Wochen nach der eigentlichen Kerb fand die „Nachkerb“ statt. In den Kriegsjahren 1939- 1945 wurde nicht gefeiert. Es fand lediglich das Erntedankfest mit einem Umzug statt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bilder der Kerb von 1947

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erntedankfest 1937

 

 

 

 

Bärstadt war durch die einzige Kirche im Ort evangelisch geprägt. Die Jugendlichen besuchten deshalb ab dem 12. Lebensjahr den Konfirmandenunterricht. Die Konfirmation fand dann immer am Palmsonntag statt und hatte ihren Ursprung darin, dass die Konfirmation in Verbindung mit der Entlassung aus der Volksschule gesehen wurde. Nach diesem Ereignis begann oft am 1. April die Lehre.

Die Konfirmation hat zwei Funktionen: zum einen die persönliche Bestätigung der Taufe und damit die Bestätigung zum christlichen Glauben und zur Kirchenzugehörigkeit, zum anderen der Abschluss des kirchlichen Unterrichtes und Eintritt ins (kirchliche) Erwachsenenleben.

Eine Konfirmation im religionsmündigen Alter ist deshalb nötig, weil die Kinder zuvor als Unmündige (in der Regel noch als Säuglinge) getauft werden.

Der Konfirmandenunterricht war zunächst zweimal die Woche zwischen 14 und 16 Uhr, jedoch nur im Winter. Nach dem Krieg fand der Konfirmandenunterricht ganzjährig einmal die Woche statt.

Während dieser Zeit sind die Konfirmanden angehalten, regelmäßig die Gottesdienste zu besuchen. Allerdings war das Interesse an der Teilnahme an den Gottesdiensten unter den angehenden Konfirmanden im Allgemeinen recht gering, so dass eine Mindestbesuchszahl als Voraussetzung für die Zulassung zur Konfirmationsfeier galt.

Die Konfirmanden kamen nicht nur aus Bärstadt sondern auch bei Schnee und Regen zu Fuß aus Ramschied, Fischbach, Hausen, Langenseifen und Hettenhain. Auswärtige trafen sich bei Paul Gräser und konnten ihre Kleider dort trocknen und sich bei Bedarf umziehen.

Im Konfirmandenunterricht wurde dann der Katechismus, die Bibel, die 10 Gebote und Kirchenlieder oder das Neue und Alte Testament gelehrt. Der Unterricht fand zunächst in der Schule im Rathaus, später im Turmzimmer statt.

An Palmsonntag war Vorstellung und Prüfung der Konfirmanden. Eine Woche später folgte die Konfirmation mit dem ersten Abendmahl. Bei der Prüfung wurden z. B. die 10 Gebote abgefragt und die Familienmitglieder zählten heimlich wie viele Fragen ihr Nachwuchs beantworten konnte. Während der Konfirmation am 11.03.1945 kam es zu einer beinahe tragisch verlaufenden Kohlenmonoxidvergiftung einiger Kirchgänger, speziell der Konfirmanden. Der Koksofen in der Kirche entwickelte keine richtige Verbrennung und Kohlenmonoxid strömte während des Gottesdienstes aus. Hierbei verloren einige der Konfirmanden das Bewusstsein. Die Mutter von Dina Hofmann bemerkte dies und fragte: „was machen die denn da vorne“? Im nächste Moment war auch sie ein Opfer der Gasvergiftung. Als man die Situation erkannte, öffnete man die Türen und die zufällig anwesenden Soldaten brachten die Ohnmächtigen an die frische Luft. Über die Ursache wurde viel gerätselt. Wahrscheinlich lag es an einem zu langen Ofenrohr mit schlechtem Zug und am schlechtem Brennmaterial. Diese Konfirmation blieb auf jeden Fall vielen in Erinnerung.

Nach dem Gottesdienst mit der Einsegnung der Konfirmanden ging die jeweilige Familie nach Hause zum Mittagessen. Am Nachmittag wurde gemeinsam mit der Verwandtschaft  Kaffee getrunken, hierzu war auch der Pfarrer eingeladen. Anschließend besuchten sich die Konfirmanden untereinander. Es durfte das erste mal in der Öffentlichkeit Alkohol getrunken werden. Kuchen und Kaffee wurde in der Nachbarschaft verteilt. Nach Möglichkeit versuchte man den Jugendlichen etwas zukunftsweisendes zu schenken. Bei den Konfirmanden vielleicht die erste Uhr oder bei den Konfirmandinnen silberne Teelöffel, die dann ergänzt wurden, um einmal den Grundstock für die  Aussteuer zu bilden.

 

 

Konfirmation 1947

 

Überliefert geblieben sind die Aufzeichnungen von Lina Kaiser aus dem Jahr 1947. Aufgrund der allgemein mangelnden Lebensmittelsituation nach dem Krieg war man froh, sich wieder einmal bei einem solchem Anlass satt essen zu können. Nur so lässt sich z.B. die große Menge an Kuchen erklären.

 

Walters Konfirmation  (für 25 Personen)

 

6 Streuselkuchen                             

3 Zwetschgenkuchen                                              

1 Mirabellenkuchen

2 Kränze

7 Radonenkuchen

 

Hefekuchen:                                                              Backpulverkuchen: (6 Stück)

 

15 ltr. Milch                                                                500 gr. Mehl

25 Kilo Mehl                                                               200 gr. Zucker

2 ¼ Kilo Fett                                                              200 gr. Butter

2 ¼  Kilo Zucker                                                        3 Eier 

21 Eier                                                                                   1 ¼ Backpulver

1250 gr. Zucker  (für Streusel)                                 etwas Geschmack                           

1250 gr. Butter    (für Streusel)                                

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30 Flaschen Wein

3 große Töpfe voll Kaffee

   (auf einen Liter Wasser, ½ Löffel Ersatzkaffee, 1 Löffel Bohnenkaffee)

Für 16 Häuser Kaffee und Kuchen ausgetragen

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Schweine- Fleisch :

1 Vorderschinken in 2 Stücke gerollt

1 Kammstück gerollt

 

Kalbfleisch:

3 Gläser für Braten

3 Gläser für Suppe

5 Kilo Knochen

10 Eier

600gr. Nudeln

35 Schoppen Wasser

gekocht im Kessel

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Um 12 Uhr Nachts noch einmal Brot und Fleisch gegeben, Kaffee nach belieben.

Danach in der Küche alles ausgeräumt, Platz genug(für die Übernachtungsgäste) .

 

 

 

Mit dem 14. Lebensjahr suchte man sich eine Lehrstelle oder arbeitete zu Hause in der Landwirtschaft. Um eine Lehrstelle zu erhalten, musste man überwiegend nach Schlangenbad, Bad Schwalbach oder Wiesbaden fahren. Der dortige Kurbetrieb sorgte zumindest im Sommer für Arbeit. Ein Problem stellte der tägliche Weg dorthin dar, Verkehrsmittel und Straßen waren noch nicht gut ausgebaut. Im Winter besuchte man die landwirtschaftliche Schule in Bad Schwalbach.

 

Ab Juni 1935 musste jeder junge Mann eine sechsmonatige, dem Wehrdienst vorgelagerte Arbeitspflicht, ableisten. Die Aufgaben im sogenannten Reichsarbeitsdienst waren sehr vielfältig. Sie befassten sich vor dem Krieg vor allem mit Forst- und Kultivierungs- sowie Straßenbau- oder Entwässerungsaufgaben und Tätigkeiten in der Landwirtschaft. Ab 1938 mussten die Frauen unter 25 ein Pflichtjahr in der Land- und Hauswirtschaft ableisten. Dadurch sollte u. a. die fehlende Arbeitskraft der sich im Krieg befindlichen Männer, kompensiert werden. Ausgenommen waren Frauen mit Kindern und Frauen, die ohnehin in diesen Bereichen arbeiteten. Ohne den Nachweis über das abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung begonnen werden.

 

Die männliche Jugend wurde mit dem 18. Lebensjahr gemustert. Hierzu sammelte der Bürgermeister „Johann Friedrich Besier der 1.“ die in Frage kommenden Männer und begleitete sie nach Bad Schwalbach. Die Musterung musste wohl damals ein erfreuliches Ereignis gewesen sein. Nur so lässt sich das beigefügte Bild erklären: man sieht am Revers ein kleines Sträußchen und in der Hand eine Zigarette.

Meine Oma, Lina Kaiser fragte mich anlässlich meiner Musterung (1986): „Ach herrje Bub, hast du dich auch nicht betrunken“? Verdutzt fragte ich sie: Ja, warum sollte ich mich denn betrinken? Antwort: „Ja früher haben sich die Jugendlichen immer anschließend betrunken“.

Man freute sich, nach bestandener Musterung, nun fürs Vaterland dienen zu dürfen.